Dienstag, 24. April 2012

AFGANISTAN...UND NEOLIBERALE UMSTRUKTURIERUNG!

AFGHANISTAN:
 links:
http://www.imi-online.de/category/themen/bundeswehr/auslandseinsatze/
http://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan_seit_2001

Kannst du dich noch errinnern wie es damals( vor 10 Jahren ) hieß: Afganistaneinsätze sind Friedenseinsätze?


Tatsächlich existierten in Washington schon lange vor den Anschlägen des 11. September Pläne für eine bewaffnete Intervention, u.a. weil eine militärische Präsenz in unmittelbarer Nähe zu Russland sowie der angrenzenden ölreichen kaspischen Region angestrebt wurde. Zudem wird das westliche Interesse hervorgehoben, Afghanistan als alternative Transitroute zu erschließen, um die enormen kaspischen Energievorkommen unter Umgehung Russlands dem Weltmarkt zuführen zu können !

Der Krieg in Afghanistan ist kein “bedauerlicher” Einzelfall, sondern viel eher Prototyp für künftige NATO-Einsätze zur “Stabilisierung” (sprich: Kontrolle) missliebiger Staaten. Darauf verweist jedenfalls der im Auftrag von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Mitte Mai 2010 vorgelegte Entwurf für ein neues Strategisches Konzept: “Angesichts des komplexen und unvorhersagbaren Sicherheitsklimas, das höchstwahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten vorherrschen wird, ist es unmöglich, eine NATO-Teilnahme an ähnlichen (hoffentlich weniger ausufernden) Stabilisierungseinsätzen auszuschließen.''

Die neoliberale Umstrukturierung:

In Bosnien, im Kosovo, im Irak und auch in Afghanistan, überall versucht der Westen dasselbe radikalliberale Wirtschaftsprogramm durchzusetzen. Der Wahnsinn hat Methode: Verschleuderung des Staatseigentums durch umfassende Privatisierungen, Öffnung für ausländische Investitionen und Güter, Steuererleichterungen für ausländische Unternehmen, etc.
Für Afghanistan holte der Internationale Währungsfond (IWF) unmittelbar nach Kriegsende ein offenbar schon längst ausgearbeitetes Programm hervor, das den konsequenten neoliberalen Umbau des Landes vorsah.
Hierbei konnte man sich auf die willfährige, weil von der Unterstützung der “internationalen Gemeinschaft” abhängige Übergangsregierung unter Hamid Karzai verlassen. So stellte der IWF befriedigt fest: “Von Anfang an haben die afghanischen Behörden sich stark darauf verpflichtet, fiskalische Stabilität und Disziplin aufrecht zu erhalten, um den Wiederaufbau und die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen. [...] Die Wirtschaft wird auf liberalen und offenen Märkten basieren, angeführt von Aktivitäten des Privatsektors und mit einem geringen Grad an staatlichen Eingriffen. Der Außenhandel und Zahlungsverkehr [...] werden auch liberal sein und Privatinvestitionen werden gefördert. In ihren Anstrengungen, all diese Ziele zu erreichen, erhalten die Behörden die Unterstützung des IWF, der Asiatischen Entwicklungsbank, der Weltbank und von zahlreichen bilateralen Gebern.”
Bereits im April 2002 legte die Übergangsregierung den “Afghan National Development Framework” (NDF) vor, in dem die grundlegenden ökonomischen Weichenstellungen in Richtung einer marktradikalen Umstrukturierung beschrieben wurden – und zwar in einem Dokument, das nicht einmal in Dari (eine der wichtigsten Landessprachen Afghanistans)? übersetzt wurde. In der NDF hieß es, man strebe “geringe Unternehmenssteuern für alle Investoren” sowie “die Errichtung eines Freihandelsregimes mit niedrigen und vorhersehbaren Zöllen” an. Auf verschiedenen Konferenzen wurde anschließend dafür gesorgt, dass dieses marktradikale Programm einen festen und verbindlichen Rahmen erhielt. Dies geschah zunächst über die vorläufige “Afghanische Nationale Entwicklungsstrategie” (ANDS) aus dem Jahr 2006, der eine endgültige Fassung zwei Jahre später folgte. Die ANDS stellt das zentrale Dokument für den Aufbau afghanischer Wirtschaftsstrukturen dar und orientiert sich strikt an den neoliberalen Vorgaben der westlichen Besatzer: “Unsere ökonomische Vision ist es, eine liberale Marktwirtschaft aufzubauen. [...] Um dies zu erreichen, werden wir ein förderliches Umfeld für den Privatsektor entwickeln, damit er Profite generieren und vernünftige Steuern bezahlen kann.”
So konnte Germany Trade and Invest (früher: Bundesamt für Außenwirtschaft) bereits 2007 feststellen: “Ein Erfolg ist die mit Hilfe der Bundesregierung geschaffene ‘Afghan Investment Support Agency – AISA’, die Investoren innerhalb von nur einer Woche sämtliche Formalitäten abnimmt, deren Registrierung vornimmt und eine Steuernummer vergibt. [...] Die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Wirtschaft und der Schutz von Investoren wurden in die neue afghanische Verfassung aufgenommen; [...] Afghanistan kann als eine der offensten Volkswirtschaften überhaupt, auf jeden Fall aber als die offenste Volkswirtschaft der Region bezeichnet werden. Handelsbeschränkungen und Subventionen sind praktisch nicht existent, und die afghanische Regierung zeigt sich sehr aufgeschlossen für Investitionen im Land.” Der betreffende Satz der afghanischen Verfassung lautet wörtlich: “Der Staat ermuntert und schützt private Kapitalinvestitionen und Unternehmen auf der Basis der Marktwirtschaft und garantiert deren Schutz im Einklang mit den rechtlichen Bestimmungen.”
Bereits früh wurden auf dieser Grundlage auch rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, etwa mittels eines Investitionsschutzgesetzes (“Law on Domestic and Foreign Private Investment”), das von der Bertelsmann-Stiftung folgendermaßen zusammengefasst wurde: “Im September 2002 ratifizierte die afghanische Regierung das law on domestic and foreign private investment in Afghanistan, das keine Unterscheidung zwischen ausländischen und inländischen Investitionen macht. Dieses Gesetz ermöglicht 100% ausländische Investitionen, den vollständigen Transfer von Gewinnen und Kapital aus dem Land heraus, internationale Schlichtungsverfahren sowie ‘stromlinienförmige’ Lizenzverfahren. Auch werden Ausländer, die Kapital nach Afghanistan bringen, für vier bis acht Jahre von Steuern befreit.” Ferner wurde laut afghanischer Regierung auf Betreiben von IWF und Weltbank die Steuergesetzgebung “vereinfacht”, indem eine Flat-Tax von 20% auf Unternehmensgewinne eingeführt wurde. Auch die Senkung der durchschnittlichen Zölle auf Importwaren von vormals 43% auf nunmehr 5,3% ist ein typisches Rezept aus der neoliberalen Giftküche.
Zusammengefasst können die westlichen Protegés mit der Umsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen durch die afghanische Regierung überaus zufrieden sein, wie es etwa das “Investment Climate Statement” des US-Außenministeriums vom Mai 2010 zum Ausdruck bringt: “Die Regierung Afghanistans hat wichtige Maßnahmen zur Förderung eines wirtschaftsfreundlichen Umfelds ergriffen, um sowohl ausländische als auch inländische Investitionen zu fördern […], einschließlich einer Währungsreform, vereinheitlichten Zolltarifen und einem vereinfachten Steuersystem.”

Humanitäre Katastrophe und wachsender Widerstand

All diese wirtschaftlichen “Reformen” wurden damit begründet, dass die Herausbildung eines möglichst umfassenden privatwirtschaftlichen Sektors, verbunden mit ausländischen Direktinvestitionen, die durch möglichst vorteilhafte Rahmenbedingungen maximal gefördert werden müssten, der optimale Weg zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Afghanistan sei. Schon frühzeitig warnten Beobachter davor, dass eine derartige Auslieferung an den Weltmarkt zwar ganz den Vorstellungen von IWF und Weltbank entspricht, für die Entwicklung einer eigenen afghanischen Industrie und für die Entwicklung einer am Bedarf der Bevölkerung orientierten Landwirtschaft aber untauglich ist. So führt die Senkung der Zölle dazu, dass das Land mit ausländischen Waren überschwemmt wird: “Man kann Kosmetika aus Europa kaufen und dann fragt man sich, wo bleibt überhaupt noch ein Spielraum für eine neue privatwirtschaftliche Produktion in Afghanistan selbst, wenn die Importwaren viel günstiger zu erwerben sind?”, so Citha Mass von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Als Resultat weist Afghanistan ein Handelsbilanzdefizit von ca. 6.5 Mrd. Dollar allein im Jahr 2008 aus. Im selben Jahr stehen den deutschen Exporten von 267,7 Mio. Euro unbedeutende Importe aus Afghanistan in Höhe von 2,7 Mio. gegenüber. Daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern: „Die Handelsbilanz wird auch langfristig passiv bleiben”, prognostiziert Germany Trade and Invest.
Die umfangreichen Zollreduzierungen haben zur Folge, dass die einheimischen Betriebe der ausländischen Konkurrenz nahezu schutzlos ausgeliefert sind. Die ANDS aber nimmt die Nichtkonkurrenzfähigkeit zum Anlass, sich für die umfassende Privatisierung der staatseigenen Unternehmen auszusprechen. Schon das Präsidentendekret Nr. 103 (Dezember 2005) beauftragte das afghanische Finanzministerium, die Privatisierung von Staatsbetrieben zu prüfen. Als Ergebnis wurde vorgeschlagen, dass in einer ersten Runde lediglich neun von 65 untersuchten Betrieben in staatlicher Hand verbleiben, die restlichen 56 jedoch entweder liquidiert oder privatisiert werden sollen.Um generell Investitionen in den Privatsektor zu fördern, wurde, wie bereits erwähnt, die Afghan Investment Support Agency ins Leben gerufen. Ihren Angaben zufolge haben sich bis Anfang 2010 etwa 7.500 Unternehmen als Investoren registrieren lassen. Das erfasste Investitionsvolumen belief sich Ende 2008 auf ca. 2,8 Mrd. US$. Zu den großen ausländischen Investoren zählen u.a.: Siemens, Tobishima Japan, British Petroleum, Air Arabia, Alcatel, Dagris, Coca-Cola, KPMG, Roshan, Alcatel, Hyatt, Serena Hotels und DHL. Auch indische und vor allem chinesische Unternehmen sind in Afghanistan sehr aktiv. Insbesondere was die Ausbeutung der afghanischen Rohstoffvorkommen anbelangt, die jüngsten Berichten zufolge weit größer sind als bislang vermutet, hat sich China mittlerweile als wichtigster Akteur auf dem dortigen Markt etabliert.
Laut Germany Trade and Invest sind die wirtschaftlichen Erfolge trotzdem bestenfalls bescheiden: “Die Wirtschaft verzeichnete im Finanzjahr 2008/09 (21.3.08 bis 20.3.09) mit einem Plus von nur noch 3,6% ein stark reduziertes Wachstum.” Zugleich fehlen aufgrund niedriger Zölle und Steuern die erforderlichen Staatseinnahmen, um mittels sozialpolitischer Maßnahmen die Not im Land zu lindern: “Das Steueraufkommen ist eines der niedrigsten im Weltvergleich.” Da wiegt es umso schwerer, dass große Teile der ohnehin nicht gerade üppigen Entwicklungshilfe für sicherheitsrelevante Maßnahmen verausgabt oder gleich für häufig vollkommen sinnlose Projekte in die Taschen westlicher Konzerne verschoben werden.
Für die Bevölkerung sind die Folgen dieser neoliberalen “Wiederaufbaupolitik” verheerend. Im Sommer 2009 zog Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international, eine vernichtende Bilanz: “Acht Jahre Intervention haben Afghanistan nicht aus der Armut geführt – im Gegenteil. Soziale Not und Arbeitslosigkeit greifen um sich, von Wiederaufbau kaum eine Spur: 4,5 Millionen Afghanen sind von Engpässen in der Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung bedroht. Einer Million Kindern mangelt es an ausreichender Ernährung. Allein die Drogenwirtschaft floriert. Der Aufbau einer nachhaltigen Ökonomie ist den neoliberalen Vorgaben der Invasoren zum Opfer gefallen.”
Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, dass ein wachsender Teil der afghanischen Bevölkerung die westlichen Akteure als Okkupanten und nicht als Wohltäter betrachtet: “In einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung und des National Centre for Policy Research (NCPR) der Universität Kabul im April 2009 durchgeführten Befragung von mehr als 5.000 Personen in fünf Provinzen Afghanistans haben 64 Prozent jedes Vertrauen in die Rolle der ISAF als Sicherheitsgarantie verloren. 62 Prozent nahmen ISAF als militärische Besatzer wahr.”
Dabei ist es grob verkürzt, wenn diejenigen, die sich dem gewaltsamen Widerstand anschließen, pauschal mit den Taliban oder – noch absurder – mit Al-Kaida in einen Topf geworfen werden. Das US-Militär hat im Oktober 2009 eine Untersuchung über die Zusammensetzung des Widerstands veröffentlicht. Ein Geheimdienstoffizier, der an der Abfassung des Berichts beteiligt war, kommt zu der Feststellung: “Bei lediglich 10 Prozent der Aufständischen handelt es sich um Hardcore-Ideologen, die für die Taliban kämpfen.”. Auch der International Council on Security and Development (ICOS), eine kanadische Denkfabrik, kommt auf Basis umfassender Feldforschung zu dem Ergebnis, der Widerstand setzte sich primär aus “armutsgetriebenen ‘Graswurzelgruppen’” zusammen: “Das Versagen der internationalen Gemeinschaft, den Bedürfnissen und Wünschen der afghanischen Bevölkerung ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken und diese mittels einer effektiven Politik zu adressieren, ist ein Schlüsselaspekt für die wachsende Popularität des Aufstandes.” In dieses Bild passen auch die Ergebnisse einer Umfrage von Oxfam: “70 Prozent der Befragten in Afghanistan nennen Armut und Arbeitslosigkeit als Hauptursache für den andauernden bewaffneten Konflikt in ihrem Land.”
Fazit:
Der mit dem Militäreinsatz der Nato verbundene Tod zahlreicher Zivilisten ist eine der wesentlichen Ursachen für den Ansehensverlust des Westens und die Stärkung des Widerstandes. Die zweite ist der neoliberale Umbau Afghanistans im Zuge der westlichen Besatzung.
Der eingeschlagene Weg – Verstärkung der Truppen und Forcierung des neoliberalen Markmodells – kann deshalb auch nicht zur Lösung des Afghanistan-Konflikts führen. Dafür müsste der Militäreinsatz mit seinen “Kollateralschäden” in der Zivilbevölkerung auf Null heruntergefahren, eine nationale Industrie und Landwirtschaft gefördert, Korruption bekämpft, sowie Verteilungsgerechtigkeit, Bildung und Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt gestellt werden



IMI-Standpunkt 2012/004 - in: AUSDRUCK (Februar 2012)

Eine deutsche „Blankettnorm“ zum Töten?


Anmerkungen zur Debatte um ein Gesetz für den Auslandeinsatz der Bundeswehr („Streitkräfteeinsatzgesetz“)

von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 27. Januar 2012

Die Online-Ausgabe der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) berichtete unlängst über eine Ende des letzten Jahres stattgefundene Veranstaltung des »Deutschen Instituts für Menschenrechte« und der »Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht«. Der Titel des Artikels umreißt den Kern der dort geführten Debatte: „Blankettnorm für den Krieg. Braucht Deutschland ein Gesetz für Auslandseinsätze der Bundeswehr – oder reicht das Mandat?“.[1]
Das juristische Fachgespräch war mit dem Potsdamer Völkerrechtler Andreas Zimmermann und Ministerialrat Christof Gramm prominent besetzt. Ersterer ist VN-politischer und völkerrechtswissenschaftlicher Beirat des Auswärtigen Amtes. Letzterer ist Privatdozent der Universität Düsseldorf und der FAZ zufolge Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums. Beide Kontrahenten stellten jeweils ihre eigenen Thesenpapiere vor, die im Folgenden erläutert werden.
Der Grund für diese Debatte kann im Wesentlichen wie folgt beschrieben werden: Es ist eine Kernentscheidung des Grundgesetzes, dass die Staatsgewalt, und dazu gehört auch seit ihrer Aufstellung 1956 die Bundeswehr, an die Grundrechte gebunden sind (Art. 1 Abs. 3 GG). Diese Grundrechtsbindung ist aber nicht territorial definiert (gilt also nicht nur in Deutschland), sondern kann überall dort zur Geltung kommen, wo deutsche Staatsgewalt ausgeübt wird (folglich auch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr).[2]
Das heißt nichts anderes, als dass etwaige Grundrechtseingriffe wie Festnahmen, Überstellungen von Verdächtigen an Drittstaaten oder gar Körperverletzungen an oder Tötungen von Personen durch deutsche Soldaten im Auslandseinsatz verfassungsrechtlich Deutschland zurechenbar sein können. Dies würde für die Betroffenen die Möglichkeit begründen, gegen die Bundesrepublik ihre Rechtsschutzmöglichkeiten vor deutschen Gerichten wahrzunehmen (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG). Im Grunde genommen könnte dies für die deutsche Politik eine reale Gefahr erhöhter politischer und finanzieller Kosten bedeuten, wenn die Bundesregierung für von deutschen Soldaten begangene Grundrechtsverletzungen gerichtlich zur Verantwortung gezogen würde und beispielsweise Schadensersatz leisten müsste.
Dass Fälle durchaus eintreten können, bei denen militärisches Handeln gerichtliche Konsequenzen nach sich ziehen, lässt sich gut am Beispiel eines Urteils des Verwaltungsgerichts Köln zeigen (Urt. v. 11.11.2011, Az. 25 K 4280/09). Die Überstellung eines der Piraterie Verdächtigen durch die Bundesmarine an kenianische Behörden wurde von diesem Gericht für rechtswidrig erklärt, weil die dortigen Haftbedingungen nicht völkerrechtlichen Mindeststandards genügten.[3]
Grundsätzlich kann aber die Staatsgewalt in die Grundrechte von Personen eingreifen, wenn diese Grundrechtseingriffe durch eine gesetzliche Ermächtigung gerechtfertigt sind. Bei der angesprochenen Veranstaltung ging es um die Frage des Für und Wider eines ebensolchen Gesetzes, das vor allem die Eingriffsbefugnisse in die Grundrechte der Bevölkerung in den Einsatzgebieten der Bundeswehr im Ausland regeln würde. Bislang gibt es nur das aus dem Jahr 2005 stammende Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG), welches nur das „ob“ eines Einsatzes der Zustimmung des Bundestages unterwirft. Das diskutierte „Streitkräfteeinsatzgesetz“ würde das „wie“ eines Einsatzes regeln; letztlich im schlimmsten Fall Tötungen legalisieren.
Zimmermann sprach sich in seinem Thesenpapier für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung für Grundrechtseingriffe durch die Bundeswehr im Kontext von Auslandseinsätzen aus. Nach seinem Vorschlag müsse ein „mögliches Auslandseinsatzgesetz“ (…) „den Besonderheiten solcher Einsätze Rechnung tragen“. Das Gesetz müsse „daher zum einen in großer Intensität Grundrechtseingriffe legitimieren bis hin zur gezielten Tötung gegnerischer Kämpfer bzw. Kombattanten“ und es müssten ferner „auch Grundrechtseingriffe in der Breite legitimiert werden um den Besonderheiten bewaffneter Konflikte bzw. den von Situationen knapp unterhalb solcher Konflikte Rechnung zu tragen.“ Aus „Praktikabilitätsgründen“ komme nur eine gesetzliche Regelung in der „Art einer Blankettnorm“, die „zu solchen Grundrechtseingriffen“ ermächtige, in Betracht.[4]
Hingegen hält Gramm ein „umfassendes Streitkräfteeinsatzgesetz“ für nicht erforderlich. Er sieht es sogar als „fraglich“ an, „ob und ggf. mit welcher Reichweite die Grundrechte beim Auslandseinsatz der Streitkräfte im Hinblick auf Dritte (Nichtdeutsche) überhaupt gelten“ würden. Er schlägt in seinem Thesenpapier vor, nach dem Vorbild Österreichs, die Eingriffsbefugnisse der Soldaten in einer Verordnung zu erfassen.[5] Eine Rechtsverordnung nach Artikel 80 des Grundgesetzes müsste nicht, wie das von Zimmermann favorisierte Gesetz, vom Bundestag verabschiedet werden. Es würde lediglich die Verabschiedung eines Gesetzes erforderlich sein, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung enthält. Ansonsten bliebe der Bundesregierung oder einem Bundesminister im Rahmen dieser Beschränkungen die inhaltliche Ausformulierung der Rechtsverordnung überlassen.
Beide Varianten stellen Versuche dar, von der Bundeswehr begangene Grundrechtsverstöße, etwa von ihr verursachte – so genannte – Kollateralschäden, rechtlich abzusichern. Damit würde den Betroffenen die Möglichkeit erschwert, vor deutschen Gerichten Rechtsschutz, Aufklärung des Vorfalls in einer unabhängigen Untersuchung oder Schadensersatz zu erlangen. Dass gerichtlicher Rechtsschutz auch auf europäischer Ebene durchaus erreichbar sein kann, zeigt die jüngste Rechtsprechung des »Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte« (EGMR) in seiner Entscheidung “Al-Skeini u.a. gegen Vereinigtes Königreich” (Aktenzeichen 55721/07). Der EGMR erklärte in diesem grundlegenden Urteil die »Europäische Menschenrechtskonvention« (EMRK) für den Einsatz britischer Truppen in Basra nach dem Irak-Krieg für anwendbar. Nach Auffassung des Gerichts habe Großbritannien dort Hoheitsgewalt ausgeübt. Aus der effektiven Kontrolle über ein Konfliktgebiet erfolge auch die menschenrechtliche Verantwortlichkeit für Rechtsverletzungen, so der EGMR weiter. Dieses Urteil ist richtungsweisend für den Einsatz europäischer Truppen und gilt damit auch für deutsche Auslandseinsätze. Die Angehörigen von sechs durch britische Soldaten zu Tode gekommenen irakischen Personen hatten auf Schadensersatz und Aufklärung der Todesfälle durch eine unabhängige Kommission geklagt, womit sie zuvor bei britischen Gerichten gescheitert waren, und nun im Juli 2011 vor dem EGMR Recht bekommen.[6]

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